Experten-Tipps zur Krisenbewältigung

Die Corona-Krise hat Auswirkungen auf jeden einzelnen Menschen – weltweit! Viele sehen vor allem die enormen Nachteile, die sie mit sich bringt, doch manche sind auch in der Lage, die damit verbundenen Herausforderungen positiv zu sehen und sie konstruktiv umzusetzen. Unser Experte Florian Klampfer gibt einen Einblick in psychologische und gesellschaftliche Erkenntnisse und weist Wege zur besseren Bewältigung der Krise auf. Nach seinem Studium der Sozialpädagogik spezialisierte er sich auf systemische Therapie. Sein wichtigstes Anliegen ist es, Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten. Florian Klampfer lebt und arbeitet in Berlin und berät mit Begeisterung auch online. Im Interview gibt er hilfreiche Tipps, wie man seinen Fokus setzen kann, um gestärkt aus der Krise herauszukommen.

Welche Bedeutung hat die Corona-Krise aus Ihrer Sicht?

Sie nimmt uns auf der einen Seite sehr viel weg, vor allem direkte Begegnungen und viele Freizeitaktivitäten, die uns Freude gemacht haben. Auf der anderen Seite ermöglicht uns Corona durch eben diese Reduzierung, dass wir die Chance bekommen, uns wesentliche Fragen zu stellen: Was ist mir wirklich wichtig? Womit habe ich mich bislang abgelenkt oder beschäftigt, was mir nicht wirklich gutgetan hat? Was habe ich bisher als selbstverständlich betrachtet? Die Gefühle, die durch die Krise ausgelöst werden, sind vor allem davon abhängig, wie ich bislang mein Leben gelebt habe. Ein Beispiel: wenn ich mich ausschließlich über meinen Job definiert habe, und der möglicherweise jetzt wegbricht, lande ich in einer tiefen Sinnkrise begleitet von Panik, da dann die Frage auftaucht: Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite? Es könnte aber auch umgekehrt sein: Angenommen, ich habe einen Job, den ich schon länger sehr ungern mache, erlebe ich das Wegbrechen als Befreiung und kann plötzlich in eine ganz neue Kreativität kommen, indem ich mich frage: Was macht mir wirklich Freude?

Florian Klampfer

Wie können Sie Menschen in dieser Zeit helfen?

Gemeinsam finden wir heraus, wo jemand gerade steht und was die dringlichsten Bedürfnisse sind, zum Beispiel in der Beziehung wieder glücklicher und erfüllter zu leben, im Job etwas zu finden, was wirklich befriedigt oder sich mehr mit dem zu beschäftigen, was sich leicht und freudvoll anfühlt. Sehr hilfreich ist der lösungsorientierte Ansatz.

Stellen sie sich vor, Sie stehen vor einem Zaun, der sehr hoch ist und oben mit Stacheldraht versehen ist. Hinter diesem Zaun befindet sich ein wunderbarer Garten, wo Sie all das tun können, worauf Sie Lust haben und was dort auch ohne weiteres möglich ist. Problemorientiert würde bedeuteten, dass wir erst einmal alle Ängste von Ihnen anschauen, warum Sie sich im Moment noch nicht trauen, über diesen Zaun zu klettern, und zu überlegen, was alles Schlimmes oder Unvorhergesehenes passieren könnte. Lösungsorientiert würde bedeuten zu schauen, was Ihnen dort – also im Garten – alles möglich sein wird, und wie sich das anfühlen könnte, wenn sie dort sind.

Wie ist es möglich, etwas zum Positiven hin zu verändern?

Das Missverständnis besteht häufig darin, dass wir denken, noch bestimmte Dinge tun zu müssen, um etwas zu erreichen. Letztendlich geht es aber nur darum, die Achtsamkeit auf das zu richten, was mir wichtig ist und mit den damit verbundenen Emotionen sich auch das anzusehen, was das gewünschte Ergebnis bereits vorwegnimmt. Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Treffen mit jemandem, das Ihnen sehr wichtig ist – egal ob privat oder beruflich. Wenn Sie sich im Vorfeld bereits überlegen, was da alles schief gehen könnte, befinden Sie sich in einer bestimmten inneren Haltung, die sich dann auch in dieser Begegnung überträgt und Sie kreieren möglicherweise damit genau das Befürchtete. Das funktioniert auch umgekehrt! Ganz wichtig: Es geht mir nicht darum, alles nur positiv zu sehen und dann wird alles gut. Manchmal ist es erst wichtig zu schauen, welche alten Blockaden und Glaubenssätze einer Veränderung noch im Weg stehen und welche neuen Überzeugungen hilfreicher sind.

Ich finde es wichtig zu verstehen, warum ein bestimmtes Problem zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden ist und ein bestimmtes Verhalten auch einmal Sinn gemacht hat. Dann ist es auch möglich, alte Glaubenssätze loszulassen und neue, tiefere und intelligentere Handlungsstrategien zu entwickeln. Gerade in Beziehungen suchen wir uns oftmals die Partner oder Partnerinnen, die bestimmte Verhaltensweisen in uns immer wieder auslösen und auf die wir immer wieder auf die gleiche (oftmals damals gelernte) Art und Weise reagieren. Damit halten wir uns selbst und auch unser Gegenüber in einer Art Trance gefangen. Dies zu erkennen, aufzulösen und Neues zu integrieren, ist mir in meiner Arbeit eine Herzensangelegenheit. Wer also neugierig ist, sich selbst und damit auch alle Beziehungen neu zu gestalten, ist bei mir genau richtig.

Welche Bedeutung hat das Unterbewusstsein?

Unser Unterbewusstsein funktioniert wie eine unsichtbare Bibliothek. Stellen sie sich vor, Sie haben einen alten Glaubenssatz abgespeichert: „Ich werde sowieso niemals eine glückliche Beziehung finden“. Das Fiese an diesen alten Überzeugungen ist, dass wir uns häufig dessen gar nicht bewusst sind und dass wir damit unserem Unterbewusstsein ständig den Auftrag geben, uns genau für diese Überzeugung Beweise zu liefern. Deswegen ist es hier wichtig zu schauen, mit welchen Überzeugungen ich mir bislang auch bestimmte Situationen immer und immer wieder erschaffen habe. Das ist für mich übrigens die Beschreibung der Hölle. Dann zu schauen, was ich stattdessen leben möchte – also in diesem Beispiel eine glückliche Beziehung – und welcher „neue Auftrag an mein Unterbewusstsein“ mir Anderes ins Leben zieht: „Ich bin ein wunderbarer Mensch und habe eine erfüllte Beziehung verdient“. Doch Vorsicht: unser Unterbewusstsein merkt genau, ob ich hier einen gelernten Satz nehme, oder ob ich es wirklich ernst meine und davon auch überzeugt bin.      

Welche Ihrer Stärken können Sie als Therapeut einsetzen, um Menschen in der Krise zu begleiten und zu helfen?

Ich versuche erst einmal in das, wo sich jemand gerade befindet, einzutauchen. Dies ist für mich die Basis. Natürlich habe ich für Menschen, die sich in Krisen befinden, Ideen und Impulse. Die Gefahr ist jedoch hierbei, dass ich ihnen meine überstülpe. Meine Stärke liegt darin, dass ich aus dem heraus, was ich von jemandem spüre und verstehe, etwas gemeinsam entwickle und was vor allem zu dem Menschen passt, der gerade vor mir sitzt!

Welche Möglichkeiten der virtuellen Beratung gibt es?

Virtuelle Beratung kann sowohl einzeln, als auch von Paaren oder auch für Gruppen und Fortbildungen genutzt werden. Interessanterweise melden mir Klienten oft zurück, dass diese Form der Beratung nicht nur ok war, sondern oftmals sogar als besonders angenehm empfunden wurde. Und dies aus zwei Gründen. Zum einen, weil sie die Fahrzeiten einsparen und die Beratung, vor allem wenn sie fortlaufen stattfindet, leichter in ihren Alltag integrieren können. Oftmals müssen sie ja auch ihre Kinder für diese Zeit unterbringen oder betreuen – und so könnten diese einfach im Nebenzimmer spielen. Außerdem – und diesen Aspekt finde ich wirklich interessant – landen die Tools und Unterstützungsideen genau dort, wo häufig auch die Probleme entstehen. Ein Paar hat mir neulich rück gemeldet, dass sie sich immer dann, wenn es um den konzentrierten Kontakt miteinander geht, an den Küchentisch setzen, denn dort haben sie mit mir gemeinsam diese Übung das erste Mal ausprobiert.

Online-Beratung

Welche Bedeutung hat Meditation? 

Lange Zeit habe ich geglaubt, Meditation braucht einen bestimmten oder zumindest ruhigen Ort, Entspannungsmusik und Weihrauch. Sicherlich: das ist eine Variante, um zu meditieren. Mittlerweile bin ich fest davon überzeugt, dass wir zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort, selbst im lautesten Getümmel, meditieren können. Was bedeutet Meditation eigentlich? Es ist nichts, was wir erlernen müssen, das wir erst jahrelang praktizieren und üben müssen. Für mich ist es ein innerer Raum, zu dem wir alle Zugang haben. Die einzige Frage ist hierbei, inwieweit wir uns hineinbegeben wollen. Die Frage hört sich vielleicht seltsam an, aber innerhalb dieses Inneren Raumes existiert das, womit wir uns sonst so identifizieren, wie die eigene Biographie, nicht. Es ist ein bisschen so, wie wenn man all das, womit man sich identifiziert, wie ein Kleid oder einen Anzug ablegt und in ein warmes Bad steigt, in dem man nur Wärme und unendliche Ruhe spürt. Das hört sich gut an und es ist immer vorhanden! Wir alle kennen diesen Zustand. Denken sie an das letzte Mal, als Sie am Meer saßen, einen Sonnenuntergang beobachteten, eine bestimmte Musik hörten: immer dann, wenn man sich selbst mit all dem, was man glaubt zu sein, entspannt – dann landet man in diesem Raum. Es ist sozusagen etwas völlig Natürliches und damit ein Teil von uns allen!

Welche Bedeutung hat Spiritualität für Sie?

Ähnlich wie bei der Meditation ist es erstmal wichtig, den Begriff zu klären. Spiritualität hat für mich nichts zu tun mit außergewöhnlichen Erfahrungen, Engelsanrufung oder einem positiven Dauergrinsen. Ich meine dies nicht despektierlich, aber für mich bedeutet Spiritualität, all das anzunehmen und in mein Leben zu integrieren, was mir so begegnet. Einen Sinn, Wert oder eine Erkenntnis gerade in Situationen zu sehen, die vordergründig erst einmal überhaupt keinen Sinn ergeben. Spiritualität hat für mich sehr viel mit einem Grundvertrauen in das Leben zu tun.

Was kann man Verschwörungstheorien entgegensetzen?  

Ich glaube, dass das Problem schon in der Fragestellung liegt. Denn meines Erachtens geht es nicht darum, diesem etwas entgegenzusetzen, sondern zu verstehen, dass hinter jeder Verschwörungstheorie eigentlich nur eines steckt: Angst! Angst davor, sich die Welt nicht erklären zu können, Angst vor Kontrollverlust, Angst davor, etwas spüren zu müssen, was ebenfalls Angst erzeugt. Zum Beispiel Überforderung, Wut oder Traurigkeit. Wie kann man im Alltag den Fokus wieder auf Konstruktives legen? Indem wir zum Beispiel anfangen, nicht alles in gut und schlecht, gewollt und nicht gewollt, richtig und falsch zu unterteilen, denn sonst spalten wir häufig bestimmte Gefühle ab, die wir nicht fühlen wollen. Natürlich wollen wir uns alle den ganzen Tag freudig, wohlgelaunt, gelassen und friedlich fühlen. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig durch irgendetwas angetriggert werden – durch andere Menschen oder bestimmte Situationen. Dann kommen wir in Kontakt mit Gefühlen, auf die wir natürlich häufig keine Lust haben, zum Beispiel Ärger, Angst, Traurigkeit. Den Fokus hier auf Positives zu lenken, würde jedoch bedeuten, dass wir diese Gefühle verdrängen. Stellen Sie sich vor, sie sind der Besitzer eines Lokals. Einige Gäste mögen Sie, die dürfen reinkommen und bekommen sogar ein extra Getränk. Andere mögen sie nicht und jedes Mal, wenn die auftauchen, stellen sie sich vor die Tür und stemmen sich dagegen, damit sie nicht reinkommen können. Was glauben Sie, wie diese Gäste reagieren? Sie werden sich von der anderen Seite gegen die Tür stemmen und versuchen, reinzukommen – oder sie sind brav und angepasst und verschwinden. Was in der Regel unsere Gefühle nicht sind – sie kämpfen um Einlass! Insofern geht es nicht um die Frage, wie wir den Fokus auf Konstruktives legen, sondern wie wir mit allem, was uns ausmacht – also den hellen und dunklen Gefühlen – auf eine gute und integrierende Art und Weise umgehen. Denn gerade diese Gefühle, die wir erstmal nicht spüren möchten, haben oftmals eine wichtige Botschaft. Traurigkeit macht oftmals auf etwas aufmerksam, was zum Beispiel eine Sehnsucht sein könnte oder ein Bedürfnis, welches gerade nicht erfüllt wird. Wut ist ein sehr kraftvolles Gefühl, das darauf aufmerksam macht, was gerade nicht stimmig ist. 

Was hat sich für Sie persönlich durch die Krise verändert?

Als ich meine Praxis aufgrund von Corona schließen musste, hatte ich zunächst große Angst. Ich hatte mich sehr über diese Arbeit definiert und keine Ahnung, was ich in den nächsten Wochen alles spannendes Neues entdecken würde: angefangen von einem Buchprojekt, einem regelmäßigen Podcast, spannenden Kreativgruppen, einer Männer-Zoom-Gruppe, der für mich völlig neuen und spannenden Entdeckung von virtuellen Gesprächen, meinem neuen Auftritt bei Facebook, wo ich in Posts meine Lust fürs Schreiben entdeckt habe, bis hin zu diesem spannenden Interview.  

Florian Klampfer im Gespräch mit Veit Lindau. Alle Fotos: privat

Welche Anregungen haben Sie, um gut durch diese herausfordernde Zeit zu kommen?

Ich empfehle, diese Herausforderung wörtlich zu nehmen: Wozu fordert es mich heraus? Wo in meinem Leben habe ich mich in meiner Komfortzone eingerichtet, ohne zu hinterfragen, ob sich das wirklich noch gut anfühlt? Angefangen von Beziehungen, Arbeit oder sonstigen Dingen, mit denen ich mich beschäftigte. Was davon fühlt sich für mich noch frisch, was eher schal und abgestanden an? Es ist eine große Chance, dass wir uns durch diese „Zwangsreduzierung“ auch endlich von dem verabschieden können, was sowieso überfällig war und damit auch wieder Platz für Neues schaffen!

Interview: Barbara Altherr

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